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Hundetrainer: Hilfestellung oder Teil des Problems ?

Ausschnitt aus dem Text von Kristina Löwe:

...Denn die Realität ist, dass es immer mehr Hunde gibt, die ein problematisches Verhalten zeigen. Und dass dieses Verhalten immer schlimmer und gefährlicher wird.

 

Realität ist auch: Unzählige Hunde werden von überforderten Haltern abgegeben, ausgesetzt und von Tierärzten auf Wunsch der Halter euthanasiert. Tierheime sind hoffnungslos überlastet und Hunde leiden...Ein längerer Beitrag für die engagierten Hundetrainer in unserer Zeit. Kann der Mensch noch Hund? (Und mit ihm der Trainer)

 

Es ist immer der Halter das Problem. Ein Satz, den man so oder anders ständig hört und selbst denkt. Woher kommt der Satz und was will er uns sagen? Die Erkenntnis, dass Halter die Entwicklung und So-Werdung ihrer Hunde ungünstig beeinflussen, kommt daher, dass kundige Augen erkennen: Erschreckend viele Menschen verstehen ihre Hunde nicht. Sie können ihre Körpersprache nicht lesen, erkennen sie nicht als eigenständige Individuen an und vergessen, dass es sich ursprünglich um Raubtiere handelte.

 

So kommt es zu gravierenden Fehlern im Umgang mit dem Hund. Aus einem grundsätzlichen Blickwinkel heraus ist der Halter allein deshalb das Problem, weil der Hund von ihm abhängig ist. Der Halter ist der Erfahrene und Erziehende und hat damit auch die Verantwortung. Der Hund passt sich schlussendlich an, indem er sein Verhalten nach seinem Umfeld ausrichtet. Gibt der Halter nun dem Hund nicht, was er braucht, sendet stattdessen verwirrende Signale, beachtet seine Bedürfnisse nicht, erzieht ihn nicht, kann es zu einem nach Menschenverständnis unerwünschten, problemhaften Verhalten des Hundes kommen. Ein befreundeter Tierheimgründer, der sich für das Tierheim „Tierisch Belzig“ auch gefährlicher Hunde annimmt, kommentiert diese Versäumnisse folgendermaßen: „Die Menschen setzen dem Hund kein klares Bild“.

 

Hundetrainer: Hilfestellung oder Teil des Problems?

Engagierte Hundetrainer versuchen diese Fehler zu beheben. Sie bringen Menschen bei, wie sie ihren Hund lesen können und ihm auf Basis von Lerntheorien ein nach menschlichen Maßstäben erwünschtes Verhalten antrainieren können. Doch warum gelingt dies so oft nicht? Oder nicht nachhaltig? Denn die Realität ist, dass es immer mehr Hunde gibt, die ein problematisches Verhalten zeigen. Und dass dieses Verhalten immer schlimmer und gefährlicher wird. Realität ist auch: Unzählige Hunde werden von überforderten Haltern abgegeben, ausgesetzt und von Tierärzten auf Wunsch der Halter euthanasiert. Tierheime sind gnadenlos überlastet und Hunde leiden.

 

Um einen gesunden Hund ausreichend zu erziehen und zu trainieren, braucht es eine gute Intuition, natürlichen Zugang und/oder erworbene Kenntnisse. Um einen stark vorbelasteten Hund zu resozialisieren, sein Verhalten zu modifizieren, zu therapieren braucht es einen komplexen Sachverstand und langjähriges Erfahrungswissen. Die Mühe sich einen ausreichenden Sachverstand aufzubauen, macht sich bei weitem nicht jeder Trainer. Daher gibt es leider auch zahlreiche Hunde, die von Trainern kaputt trainiert werden. Gravierende Fehler beginnen bereits – wie aktuell in Fachkreisen diskutiert – in den Welpen-Gruppen.

 

Viel Widersinniges passiert also in der Verantwortung von Trainern, auf den Trainingsplätzen und in den Hundeschulen. Ein ausreichendes Hundewissen ist nicht vorhanden und das Verständnis oft zu gering. Das ist eine Dimension.

 

Aber selbst, wenn der Trainer gut ist und vieles richtig macht, dann bleibt die andere Dimension, der Halter, mit dessen Beziehungsgestaltung alles anfängt und mit dessen Erziehung und Verhalten alles weitergeht. Kann der heutige Mensch noch Hund? Hunden ist die Suche nach Struktur intuitiv verankert. Regeln, Strukturen und Gepflogenheiten des individuellen Sozialsystems werden im gemeinsamen Interesse von Halter und Hund etabliert. Achtung: Im gemeinsamen Interesse! Es ist also ein Prozess, der auf Gegenseitigkeit beruht! Das bedeutet auch, dass ohne Interesse an- und miteinander keine Erziehung gelingen kann.

 

Ohne BE-ziehung gelingt also auch keine ER-ziehung.

 

Wie aber macht man einen Menschen beziehungsfähig für seinen Hund? Und weiter: Wenn Menschen Hunde zu sich holen, bedeutet das zu verstehen, was ein soziales System ausmacht, was Verantwortung übernehmen heißt, was ein Miteinander bedeutet. Dass es bei Erziehung nicht um hohle Regeln und plakative Anordnungen geht, sondern um ein authentisches emotionales Engagement. Dabei ist von einem ähnlichen Erziehungskonzept auszugehen wie in der modernen menschlichen Pädagogik und Jugendpsychologie (zusammengefasst aus PD Dr. Udo Gansloßer, Verhaltensbiologie Hund).

 

Es erfordert ein Spektrum an authentischen, sozial angemessenen und zielführenden Verhaltenskompetenzen im sozialen Umgang. Was sind diese Kompetenzen? Wie vermittelt man sie? Wie führt man den Menschen dahin? Der Hundetrainer wird zum MenschentrainerUnter Hundetrainern ist es zum geflügelten Wort avanciert: Eigentlich sind wir Menschentrainer. Denn Hundetrainer arbeiten mittlerweile mehr mit Menschen als mit deren Hunden. Wobei, und hier ist nach Ansicht der Autorin des Artikels und in Bezug auf die von PD Dr. Udo Gansloßer genannten erforderlichen Verhaltenskompetenzen, eine unbemerkte Schwachstelle eingebaut: Die Hilfestellungen der bemühten Hundetrainer setzen ein emotionales, soziales Vermögen voraus, welches die Menschen westlicher Industrienationen zunehmend verlieren.

 

Diese Zusammenhänge erfassen viele in der Hundewelt intuitiv und diffus oder in prägnanten, verkürzten Bildern. Erläutert man sie aber einmal klar, dann kann man damit auch arbeiten: Erkennen, Einordnen, Verändern. Möchten Menschen ihre Hunde führen? Wie gesagt, Hunde brauchen Struktur, und zwar eine hierarchische. In einer Welt, in der im Arbeits- und Organisations- sowie im Erziehungskontext von Kindern Hierarchien abgeschafft werden, fällt der Hund aus der Zeit. Mit seinem altmodisch anmutenden Anspruch an Orientierung und Führung sprengt er das hierachielose System. Eine grundlegende Frage lautet also: Möchten die Halter noch Führung übernehmen? Sind sie dazu bereit? Zu Geradlinigkeit, Verantwortung, Grenzen, Balance, Gerechtigkeit und Durchsetzung? Oder ist das vielleicht alles viel zu anstrengend? Können Menschen Hunde überzeugen, Ihnen zu folgen?

 

Zweitens: Wenn der Mensch Führung übernehmen möchte, kann er das auch? Der Mensch ist ein von Emotionen geleitetes Wesen (Neurowissenschaften: ‚Emotion vor Kognition‘). Dies allerdings ist ihm nicht bewusst. (90-95% der Auslöser dessen, was Menschen tun, denken, sagen und fühlen ist unbewusst). Der Hund wiederum nimmt unbewusste menschliche Gefühle wahr – fein wie ein Seismograph. Das heißt, der Hund merkt alles. Warum ist das so entscheidend? Weil es bedeutet, dass ein klares Bild für den Hund nur setzen kann, wer klar ist. Und um dem Menschen zu folgen, braucht der Hund Klarheit. Klar sein: Jemand der meint, was er tut. Jemand, der handelt, wie er fühlt. Jemand dessen Verhalten und innere Haltungen und Gefühle kongruent und damit authentisch sind. Und das ist beim Menschen – als emotionalem und unbewussten Wesen – oft NICHT der Fall.

 

Nachfolgend wird dieser Sachverhalt in ein paar kurzen Beispielen skizziert.• Der Mensch gibt Kommandos, wie es ihm der Hundetrainer beigebracht hat, hat aber kein inneres Verständnis von Führung. Was heißt denn Führung müsste man ihn fragen. • Der Hund darf nicht aufs Sofa, hat der Mensch irgendwo gelesen. Weiß der Mensch, wo seine Grenzen sind? Wieviel Wert hat dann das Sofa Verbot, müsste man ihn fragen. • Der Hund braucht Struktur. Der Mensch aber ist innerlich gestresst und chaotisch, lebt ein unstetes urbanes Leben. Hat er Erfahrungen gemacht, wie entlastend Struktur sein kann, müsste man ihn fragen. Trainer müssen blinde Flecken erkennen und Empathie-Mängel für den Hund auflösen.Struktur ist aber nicht das einzige hündische Bedürfnis. Auch andere vitale Forderungen und Grenzen des Hundes werden vom Halter nicht beantwortet. • Der Hund möchte explorieren aber der Halter ist ein ängstlicher Mensch, der alles kontrolliert. • Der Hund verliert den Faden und dreht auf der Hundewiese mit anderen Hunden frei. Der Mensch aber erfreut sich lieber an der (irren) Dynamik als sich um Begrenzung zu bemühen. • Der Hund braucht Ruhe, aber die Kinder der Familie dürfen mit dem Hund hampeln und mit ihm auf dem Trampolin springen. • Der Hund würde sich anders, besser verhalten, wenn er im gemeinsamen Spiel mit dem Menschen mit diesem in Beziehung treten könnte. Nur weiß der Mensch gar nicht wie das geht (Spiel, Beziehung) oder ist zu faul für ein emotionales und motorisches Engagement. Und so wird der Mensch zur Ball-Wurfmaschine für den Hund anstatt ein Beziehungspartner. (Beispiel aus PD Dr. Udo Gansloßer)• Der Hund hat ein individuelles Distanzbedürfnis aber der Mensch will Liebe.

 

Wie sind die Konsequenzen von all dem? Der Hund lernt auf seine hündische Art mit dem Gemauschel, unklarer Kommunikation und Vernachlässigung, Missbrauch umzugehen, passt sich in beeindruckender Weise an oder aber er schafft sich seine eigene Welt, wird frustriert, zieht sich zurück, wird neurotisch, verliert das Vertrauen in die Menschen, wird aggressiv, beißt zu, tötet vielleicht. Und dann nennen ihnen die Menschen einen Problemhund. Vom „Welpi zum Hellhound“, nennt Vanessa Bokr, die prominente Gründerin der Hellhound Foundation, mit zynischem Humor ein Webinar, in dem es um Erziehungsfehler geht. Die unterschätze Dimension des ÜbertragungsgeschehensDarüber hinaus belegen eine ganze Reihe neuer Studien, dass Hunde die unbewussten Gefühle und inneren Haltungen von Menschen nicht nur wahrnehmen, sondern sich diese auch auf sie übertragen. Wenn ein Hund aggressiv nach vorne geht, ist das wirklich sein Problem? Oder hat er die unbewusste Aggression des Halters ausgetragen? Ist es dann zielführend am Hund zu arbeiten? Oder erklärt man nicht lieber dem Menschen, was Übertragungsgeschehen bedeutet?Anders: Hat der Hund vielleicht die Führung übernommen, weil er die Schwäche des Halters spürt? Alltag in der Hundewelt: Der führungsschwache Mensch bleibt trotz Hundeschulen-Trainings innerlich schwach, der Hund übernimmt – bellend, beißend – und wird dann reglementiert. Ist es zielführend mit diesem Menschen weiter nur Kommandos zu üben? Trainer brauchen die Fähigkeit Menschen etwas über sich selbst zu vermitteln. Trainer müssen die blinden Flecken der Menschen erkennen und Empathie-Mängel für den Hund auflösen. Psychologische Kompetenz, also auch Differenzierungsvermögen und kommunikative Fähigkeiten, können dabei helfen: Wie erkenne ich Menschen? Welche Schlussfolgerungen können hier also (ganz bewusst so gesagt) über die Hund-Mensch-Psycho-Dynamik gezogen werden? Wie kann es ihm beigebracht werden?

 

Wie kann man Menschen erreichen, so dass auch ankommt, was Trainer vermitteln möchten? Das zentrale Charakteristikum aus der Psychoanalyse ist hier der „Widerstand“. Wie gehe ich mit dem Widerstand des Halters um? Lernen, Lehren und Entwickeln sind zwei verschieden Paar Schuhe. Moderne Hundetrainer müssen heutzutage eigentlich befähigen UND entwickeln. Befähigen heißt Hundewissen und Trainingswissen vermitteln, die Basis hierfür sind die Lehre der Kynologie und die Modelle der Lerntheorien. Entwickeln setzt an dem Wissen an wie eines in das andere greift und eine Dynamik ergibt. Dazu gehören der Mensch, seine Persönlichkeit sowie neben Rasse/Genetik, Verhalten, die Individualpersönlichkeit des Hundes, seine Vorerfahrungen und auch die Wirkungen, die der Trainer einbringt. Das ist kein kausales Verhältnis. Das ist komplex.

 

Problemhunde-Experten wie Thomas Baumann analysieren in ihren Anamnesen Hund, Mensch und deren gemeinsame Dynamik. Baumann zeichnet sich neben seiner Fachkompetenz durch ein psychologisches Grundverständnis vom Menschen aus. Auch dadurch kann er in Texten und Videos, in denen er Bezug auf die Dynamik Mensch/Hund nimmt, zu einer weiteren Differenziertheit in der Fachwelt beitragen.Wie erkennt man Menschen, was gehört zu einer Beziehungsreform und wie veranlasst man den Menschen dazu? Wie kann man soziale Kompetenz erwerben? Interdisziplinarität kann neue Ansätze bringen. Dabei soll der Hundetrainer kein Therapeut werden, aber es gibt vernünftige und begrenzte Hilfestellungen aus der Psychologie, die der Hundetrainer am Menschen nutzen kann, um ihn zu verstehen (auch sich selbst übrigens) - mit der Zielstellung, dass der Halter sich authentisch am Hund entwickelt. Und nicht nur Übungen situativ abspult. Damit der Halter wirklich lernt, ein klares Bild zu setzen. Kenntnisse und Können aus der Humanpsychologie können unterstützen, damit der Trainer dafür Sorge tragen kann, dass der Halter das soziale Miteinander von sich und seinem Hund ganzheitlich erfassen kann und ein Verständnis von Konsequenzhaftigkeit entwickelt. So kann die Beziehung zwischen Mensch und Hund langfristig gestärkt und ergiebiger ausgeschöpft werden. Und vielleicht kann ein psychologisches Verständnis vom Menschen helfen, den massiven Negativ-Konsequenzen des aktuellen Trends zum Hund, der Hunde in dieser Gesellschaft leiden lässt, Einhalt zu gebieten.

Quelle: Christina Löwe

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