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Dominieren oder Trainieren ?

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Eine einfache Antwort (für alle, die danach nicht weiterlesen wollen):

"Hunde, die mit ihren Menschen in einer soliden Dominanzbeziehung leben, müssen deutlich weniger (funktional) trainiert werden, als Hunde, die mit ihren Menschen außerhalb einer Dominanzbeziehung zusammenleben! Und letztlich haben Hunde in einer stabilen Dominanzbeziehung auch mehr Freiheiten und damit mehr Lebensqualität!"

Das ist meine klare Antwort auf die Frage, ob eine Dominanzbeziehung zwischen Mensch und Hund möglich bzw. erforderlich ist.

Wem diese Aussage ausreicht, kann hier aussteigen, wer mehr dazu wissen möchte, sollte einfach weiterlesen.

Und nun die Begründung:
Begriffe wie Macht und Dominanz sind in Teilen unserer Gesellschaft fälschlicherweise negativ belegt, denn sie sind grundsätzlich ein natürlicher und auch wichtiger Aspekt innerhalb einer Beziehung.
Sobald unterschiedliche Interessen zusammenstoßen, entstehen verständlicherweise auch Dominanz- und Macht-Effekte. Wäre dem nicht so, könnten wir bei einer Interessenkollision unsere eigenen Ansprüche überhaupt nicht durchsetzen!
Dabei geht es in einer Dominanzbeziehung niemals um das permanente Ausüben von Dominanz, sondern vielmehr um den formalen bzw. situativen Nutzen solch einer Beziehung.
Und Dominanz pauschal mit Aggression oder Gewalt zu verbinden, ist ohnehin einer der größten kursierenden Irrtümer.

Im Gegenteil: In einer stabilen Dominanzbeziehung ist das Risiko sozialer oder gar aggressiver Auseinandersetzungen deutlich geringer, als in Beziehungen, in denen keiner wirklich was zu sagen hat! Insbesondere wenn es um unterschiedliche Interessen geht, die jeder dem jeweils anderen gegenüber durchsetzen möchte.
Kurios ist dabei eine ideologisch aufgebaute These, die in der Praxis schnell widerlegt werden kann:

Es gibt angeblich keine Dominanzbeziehungen zwischen unterschiedlichen Arten und somit keine interspezifischen beziehungsweise zwischenartlichen Dominanzbeziehungen. Somit könne ein Hund keine Dominanz über den Menschen ausüben und – umgekehrt – kann ein Mensch keine Dominanzbeziehung zu einem Hund aufbauen.

Diese Behauptung ist deshalb nicht richtig, weil im Laufe der letzten ca. 40.000 Jahre ein außergewöhnlicher und zwischenartlich einzigartiger Prozess im Zusammenleben zwischen Mensch und Hund stattgefunden hat.
Die sozialemotionale Annäherung des Hundes an den Menschen hat bis zum heutigen Tag ein beeindruckendes Konstrukt zwischen zwei grundlegend unterschiedlichen Arten ergeben.
Dieser Umstand ist mittlerweile auch wissenschaftlich wohl kaum noch umstritten.
Das bedeutet, es leben seit Tausenden von Jahren zwei unterschiedliche Arten auf zunehmend engem Raum zusammen. Was sich im Laufe dieser langen Zeit im Gehirn unserer Hunde entwickelt hat, ist eine beeindruckende Anpassung der emotionalen Intelligenz an die emotionale Intelligenz des Menschen. Auf sozialer Gefühlsebene ticken Hunde und Menschen mittlerweile mehr als ähnlich. Emotional gesehen muss man heute Hunde auf Augenhöhe zum Menschen betrachten, um ihren außerordentlichen sozialen Kompetenzen gerecht werden zu können.

Es dürfte wohl keinen vergleichbaren Entwicklungsprozess in der Säugetierwelt zwischen zwei Arten geben, wie dies zwischen Menschen und Hunden stattgefunden hat.

Menschen und Hunde zu unterschiedlich?
Die Aussage, Menschen und Hunde seien viel zu unterschiedlich und somit könne es schon deshalb keine Dominanzbeziehungen geben, kursiert nach wie vor, obwohl sie falsch ist.
Nein, andersrum wird ein Schuh draus: Menschen und Hunde sind sich (emotional) derart ähnlich, dass es nachlässig wäre, auf eine Dominanzbeziehung zu verzichten.

Sich auf simples Hundetraining zu verlassen, erweist sich allzu häufig als gelebter Irrtum und unterstellt dem Menschen, seinen Hund als primitiven Sozialpartner zu sehen, der nur durch Konditionierung optimal „funktionieren“ kann. Das wird doch unseren Hunden in keiner Weise gerecht, sie im Verhalten auf ausschließliche Konditionierungsebene herunterzubrechen.
Wer im Zusammenleben mit dem Hund auf eine Dominanzbeziehung bewusst verzichtet, kann trainieren, was und wie er möchte. Ein Problem wird er durch Training nie lösen können:

Den zuverlässigen Umgang mit INTERESSENKOLLISIONEN!
Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn ich mit meinem Hund beim Spaziergang an einer Weggabelung stehe und ich will – oder muss – nach rechts abbiegen, mein Hund aber will unbedingt nach links abbiegen, weil er dort eine Katze vermutet, haben wir eine Interessenkollision.

Nun kann ich außerhalb einer Dominanzbeziehung tausend Trainings-Ideen haben, wie ich ihn dazu bekommen könnte, mit mir zusammen nach rechts abzubiegen. Am Ende scheitere ich aber mit allen Ideen, wenn mein Hund sich im Rahmen seiner Interessenkollision für die Katze entscheidet.
Das bedeutet, ich kann mich ihm gegenüber NICHT durchsetzen, weil mein Umgang und mein Training auf Freiwilligkeit und trainierte Alternativen aufgebaut ist.

Dass jede denkbare trainierte Alternative weniger Attraktivität haben kann, als unsere Beispiel-Katze, dürfte wohl jedem klar sein. Da helfen dann auch weder „Würstchen-Regenschirme“ , noch so geniale „Ball-Schleudern“ oder „triefende Leberwursttuben“.
Sehr wohl aber hilft das „komm mit“ einer souveränen Autorität auf zwei Beinen.

In einer soliden Dominanzbeziehung ist eine Interessenkollision sicher auch gegeben, aber der Hund entscheidet sich deshalb für die rechte Wegseite, weil ich es erzieherisch genau an dieser Stelle konsequent einfordere (situative Dominanz). Da mein Hund bis dahin bereits gelernt hat, auch im Falle einer Interessenkollision meinen Vorgaben zu folgen, wird er dies auch mehr oder wenig freiwillig leisten.
Da heißt, ihm passt es zwar nicht, dass ich einen anderen Weg wähle, aber er akzeptiert meine Vorgabe, weil er weiß, dass es für ihn in ganz bestimmten Situationen keinen Plan B geben kann.
Genau deshalb spricht man richtigerweise auch nie von einer „permanenten Dominanz“, sondern von „formaler Dominanz“ oder von „situativer Dominanz“.
Nachdem er mit mir nach rechts abgebogen ist, spricht neben sozialem Lob auch nichts gegen eine hochwertige Leckerli-Belohnung. Aber eben erst, NACHDEM wir gemeinsam abgebogen sind.

Es ist nicht mehr als Augenwischerei und einfach albern, wenn immer wieder behauptet wird, man könne durch bloßes, funktionales Training Hunde generell von unerwünschten Verhaltensweisen abbringen. Das mag ja bei sehr schlichten, anspruchslosen oder auch „fressgeilen“ Hundecharakteren noch der Fall sein.

Sobald wir allerdings auf eine etwas eigenwilligere „Hundepersönlichkeit“ treffen, funktioniert Training alleine sicher nicht mehr. Viele Hundeschulen machen es sich viel zu einfach, wenn sie gegenüber leidgeprüften Zweibeinern behaupten, es läge nur an der mangelnden Umsetzung des Trainings, wenn es nicht so klappt, wie ausgedacht und vorgegeben.

Nein, nein, nein!  in vielen mir bekannten Fällen spielt die „Persönlichkeit“ des Hundes ganz einfach nicht mit, ganz gleich, mit welchen Tricks und Strategien wir das Training aufbauen.
Der entscheidende Vorteil einer Dominanzbeziehung? Hunde dürfen ihren „persönlichen“ Freiraum erweitern, sie dürfen frech, fröhlich und unbekümmert sein und auch in sehr vielen Situationen eine „eigene Meinung“ haben. Sie müssen nicht perfekt hören bzw. funktionieren, sie dürfen „nachfragen“ und auch nett „protestieren“. Doch kommt im Alltag eine Situation auf, bei der es um DIE entscheidende Vorgabe geht (rechts und eben nicht links), dann greift der enorme Vorteil der Dominanzbeziehung. Das gilt übrigens für alle „roten Linien“, die ein Hund nie überschreiten sollte, um für sich oder für andere keine Gefahr darzustellen.
Genau deshalb ist innerhalb einer stabilen Dominanzbeziehung der Trainingsaufwand deutlich geringer, als in vermeintlich „freiheitlich“ strukturierten Beziehungen.

Und übrigens: Hunde, die ständig unter erzieherischem Druck stehen, befinden sich in keiner(!) Dominanzbeziehung. Im Alltag ständig Druck auf den Vierbeiner auszuüben, heißt nichts anderes, als auf Macht zu pochen, die man gar nicht hat. Und dann ist ständiger Druck nicht nur unangemessen, sondern reduziert auch die Lebensqualität beider Parteien.

Das alles hat aber nichts mit einer Dominanzbeziehung zu tun.
Wer es übrigens geschafft hat, formal und damit auch situativ Dominanz auf seinen Hund ausüben zu können, sieht das ausschließlich am kommunikativen Verhalten seines Vierbeiners ihm gegenüber.
In einer Dominanzbeziehung orientieren sich Hunde sehr gerne(!) an ihren Menschen und zeigen dies auch durch respektvolles und unterwürfiges Verhalten (eben keine Angst und kein Meideverhalten).

Die Mehrzahl der Menschen, die mit schwierigen Hunden zu mir kommen, brauchen kein Hundetraining, stattdessen benötigen sie eine BEZIEHUNGSREFORM und diese nimmt zunächst erfahrungsgemäß 2 bis 3 Monate Zeit in Anspruch. Erst dann sind viele Hunde „trainingstauglich“.

Wer gleich trainiert und die Beziehungsreform (Aufbau einer Dominanzbeziehung) vernachlässigt, muss – auch bei anfangs erfolgreichem Training – mit immer wiederkehrenden Rückschlägen im Alltag rechnen. Hunde verändern sich grundlegend erst dann positiv, wenn sie sich sozial an ihren Menschen orientieren und nicht, wenn sie auf materieller Ebene mit bloßen Konditionierungsstrategien überhäuft und dabei nicht selten auch überfordert werden!

Fazit: Mit einem Hund zu trainieren, der sich in einer soliden Dominanzbeziehung befindet, ist nicht nur viel einfacher, sondern auch schöner, effektiver und mit mehr Lebensqualität für beide(!) Seiten verbunden.

Februar 2023, Thomas Baumann

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